4. Deprivation bei Menschen
Durch verschiedene Experimente an Tieren wurde die Aufmerksamkeit der Forschung auf die menschlichen Kinder gelegt und diese im Bezug zur Deprivation bei Kindern analysiert. Dazu wurden in der vergangenen Zeit vor allem Experimente mit Waisenkindern durchgeführt und die Auswirkungen von fehlenden emotionalen und sozialen Kontakten, beobachtet.
In menschlichen Gesellschaften entstehen häufig Umstände, in denen Kindern körperliche Zuwendung fehlt. Viele Studien haben nachgewiesen, dass ein Mangel an engen, liebevollen Beziehungen in der Kindheit, das körperliche Wachstum und sogar das Überleben negativ beeinflussen. 1915 berichtete ein Arzt am Johns Hopkins Hospital, dass trotz angemessener körperlicher Versorgung 90 Prozent der Säuglinge in den Waisenhäusern von der Stadt Baltimore innerhalb eines Jahres starben. In den folgenden 30 Jahren wurden Untersuchungen an Kleinkindern in Waisenhäusern durchgeführt, welche zeigten, dass diese Kinder, trotz angemessener Ernährung, oft an Infektionen der Atemwege und Fiebern unbekannter Herkunft litten, eine Gewichtszunahme ausblieb und allgemeine Zeichen körperlichen Verfalls erkennbar waren (Bowlby, 1969; Spitz & Wolf, 1946).
Auch aktuellere Studien zeigten durchgängige Auswirkungen, die Entfremdung haben kann. So verglich etwa eine Studie den Bindungserfolg von Kindern, die zu Hause aufwuchsen, mit solchen, die einen großen Teil (90 Prozent) ihres Lebens in Heimen verbracht hatten (Zeanah et al., 2005). Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass 74 Prozent der zu Hause aufgewachsenen Kinder feste Bindungen hatten; bei den Heimkindern waren es nur 20 Prozent. Darüber hinaus kann ein Mangel an normalen, sozialen Kontakten einen langanhaltenden Effekt auf die Gehirnentwicklung von Kindern haben. Eine Studie verglich die Hirnreaktionen von Kindern auf Bilder, die glückliche, wütende, ängstliche und traurige Gesichter zeigten (vgl. Moulson et al., 2009). Im Gegensatz zu Kindern, die in ihren Familien aufwachsen konnten, waren die Gehirnreaktionen von in Heimen lebenden Kindern auf emotionale Gesichtsausdrücke hin gestört. Es gibt ungeachtet der Umgebung, in der Kinder aufwachsen, immer die Gefahr von Misshandlung. In einer neueren Analyse konstatierte die US-amerikanische Regierung, dass etwa 125.000 Kinder in einem Jahr körperlich und etwa 66.700 sexuell misshandelt wurden (U.S. Department of Health & Human Services, 2010). Das psychologische Wohlbefinden von 2.759 Erwachsenen, die als Kinder missbraucht wurden, untersuchte eine Studie (vgl.Cutajar et al., 2010).
Fälle von Kindesmisshandlungen stellen Psychologinnen und Psychologen vor eine besonders wichtige Aufgabe: herauszufinden, welche Interventionsformen für ein Kind am geeignetsten sind. In den USA wurden etwa 424.000 Kinder und Jugendliche aus ihrem Elternhaus geholt und einer von diversen Formen von Pflegeheim anvertraut (beispielsweise einer betreuten Wohngruppe) (vgl. Child Welfare Information Gateway, 2011). Sind diese Kinder immer froh darüber, aus den Elternhäusern herausgeholt zu werden, in denen sie misshandelt wurden? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, weil sogar misshandelte Kinder oft eine Bindung an die sie versorgende Person entwickelt haben. Die Kinder bleiben unter Umständen gegenüber ihren Familien loyal und hoffen, dass alles wieder in Ordnung kommen wird, wenn man ihnen erlaubt, zu ihren Familien zurückzukehren. Dies ist einer der Gründe, weshalb sich ein großer Teil der Forschungsbemühungen auf die Entwicklung von Interventionsprogrammen konzentriert, welche Familien erhalten und wieder zusammenführen, indem sie die Umstände ändern, die zur Misshandlung geführt haben (Miller et al., 2006).
4.1 Ursprache der Menschen – Überlieferung über das Waisenkinderexperiment
Friedrich II. von Hohenstaufen (26.12.1194 bis 13.12.1250, römischer Kaiser, deutscher König, König von Jerusalem und Sizilien, Naturbeobachter, Verhaltensforscher und Schriftsteller) wird ein solcher Versuch zugeschrieben (Eberhard Horst, 1975): Der Kaiser wollte die ursprüngliche Sprache der Menschheit herausfinden. Deshalb ließ er einige neugeborene Kinder ihren Müttern wegnehmen und an Pflegerinnen und Ammen übergeben. Sie sollten den Kindern Milch geben, die sie an den Brüsten saugen konnten, sie baden und waschen, aber keinesfalls mit ihnen kosen und zu ihnen sprechen. Er wollte nämlich untersuchen, ob sie im Laufe der Zeit, nach ihrem Heranwachsen, die hebräische, die griechische, die lateinische, die arabische Sprache oder aber die Sprache ihrer Eltern sprechen. Der Plan ging jedoch nicht auf, da alle Kinder verstarben. Über den genauen Hergang des Experiments ist wenig bekannt. Denn sie können ohne das Patschen und das fröhliche Grimassenschneiden und die Liebkosungen ihrer Ammen und Ernährerinnen nicht leben.
Ein ähnliches Experiment hatte bereits vor rund 2500 Jahren der ägyptische König Psammetich I. (im 7. Jh. v. Chr.) durchgeführt, welches der altgriechische Geschichtsschreiber und Reiseschriftsteller Herodot (ca. 485 – 425 v.Chr.) in seinen Büchern zur antiken Geschichte berichtet. Auch hier ging es um die Ursprache der Menschheit. Er setzte zwei neugeborene Kinder bei einem Ziegenhirten in die Wildnis aus, um die menschliche Ursprache zu erforschen. Der Ziegenhirte durfte mit den Kindern kein Wort reden, so waren deren einzige Sprechpartner die Ziegen. Das Resultat nach zwei Jahren bestand in der Nachahmung der Ziegenlaute (Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/waisenkinderversuche/16645, abgerufen am 07.06.2019).
Die Erforschung der menschlichen Ursprache beschäftigt die Wissenschaft schon seit Jahrtausenden. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind jedoch nicht mehr als bloße Theorien. Die wahrscheinlichste Theorie über den Ursprung der menschlichen Sprache formulierte Herder vor rund 200 Jahren: Sprache entsteht aus der Nachahmung von Naturlauten. Auch heutzutage beschäftigen sich noch zahlreiche Sprachwissenschaftler mit diesem Problem (https://www.wissen.de/welche-sprachexperimente-machte-friedrich-ii-mit-kindern ,abgerufen am 07.06.2019).
4.2 Schweres Deprivationssyndrom bei einem Zwillingspaar nach langandauernder sozialer Isolation
Die psychische Deprivation wird nach LANGMEIER (1971) wie folgt definiert:
„Psychische Deprivation ist eine schwere und langandauernde Nichtbefriedigung der grundlegendsten vitalen und psychischen Bedürfnisse. Die Deprivation kann in verschiedenen Lebenssituationen vorkommen […].“ Dabei zeigt es seine wichtigste Wirkung in den ersten Lebensjahren.
Die Problematik bei Kindern, die ohne Liebe und Zuneigung aufwachsen, zeigt sich unter anderem deutlich anhand des Experimentes eines siebenjährigen Zwillingspaares. Der ganze Prozess von der Entwicklung der Zwillinge, vom ersten Lebenstag an, wurde vor Gericht verhandelt und wegen seiner Besonderheit, als belehrend und wichtig, zur Veröffentlichung berechtigt.
Das eineiige männliche Zwillingspaar kam am 04.09.1960, mit je 2600g Geburtsgewicht, gesund zur Welt. Die Mutter verstarb bei der Geburt, weswegen die Zwillinge unverzüglich in eine Säuglingsanstalt verlegt wurden. Dort verlief die somatische und psychische Entwicklung über elf Monate altersentsprechend. Anschließend wurden die Kinder von ihrer Tante aufgenommen, welche die Säuglinge, aufgrund der Überforderung, nach zwei Monaten ins Kinderheim verlegte. Einige Monate später¬ nahm der Vater, der zwischenzeitlich erneut geheiratet und weitere Kinder Zuhause hatte, das mittlerweile eineinhalb Jahre alte Zwillingspaar zu sich auf. Die Stiefmutter lehnte die Erziehung der Zwillinge jedoch ab und erklärte sich nur zum Nötigsten bereit. Gemeinsam entschieden sie, dass die Stiefmutter die Ernährung gewährleistet und die Erziehung dem Vater überlassen wird. Die Erziehung des Vaters und die väterliche Pflege beruhten auf Drohungen und körperliche Bestrafungen.
Vor Gericht sagte die Stiefmutter aus, dass die zwei Jungen isoliert in einer kalten Kammer leben würden. Das Rausgehen (mit einigen Ausnahmen) und das Sprechen und Spielen mit den Geschwistern war verboten. Laut Aufzeichnungen im Kinderambulatorium besuchten die Zwillinge nie einen Arzt. Sie lebten sechs Jahre in völliger Isolation, bis dieser Zustand nach einem Besuch des Vaters beim Arzt auffiel. Daraufhin kam es zum Besuch einer Sozialarbeiterin, die den Anlass dazu gab, die Kinder direkt aus diesen Lebensverhältnissen zur Pflege ins Kinderheim zu geben.
Es zeigte sich, dass die Kinder nicht adäquat gehen konnten. Es wurde der Verdacht auf Myopathie gestellt. Die ärztliche Untersuchung von Dr. MORES erkannte den Allgemeinzustand der Kinder und stellte durch Röntgenaufnahmen Veränderungen des Skeletts und Probleme im Blutserum fest. Eine Diagnose lautete „schwere Rachitiker“. Demnach wurden die Kinder in die Klinik verwiesen. Zur Zeit der Aufnahmen waren die Kinder siebeneinhalb Jahre alt, ca. 103 cm groß und wogen 15 kg und 17 kg.
Nach den Perzentilen der WHO (Stand 2012) liegt ein sieben- bis achtjähriger mit 15-17 kg unter der Dreierperzentile und ist damit erheblich untergewichtig. Dementsprechend liegen die Zwillinge auch in ihrer Größe mit 103 cm unter der Dreierperzentile und sind somit altersentsprechend zu klein.
Auffällig anormal wurde im Bereich des Körperbaus folgendes festgestellt:
Valgose Stellung der unteren Extremitäten
Plano-valgose Stellung der Füße
Quadratische Form des Kopfes
Spindelförmig geschwollene obere Gliedmaßen
Schwache und hypotonische Muskulatur unsicherer Gang
Erhebliche Einschränkungen waren im psychischen und sprachlichen Gebiet zu beobachten:
Die Kinder waren anregungsarm und verstanden die einfachsten, altersgerechten Bilder und primitive Aktivitäten beim Auffordern zum Spielen nicht. Dazu zeigten sie fehlende Erfahrungen im Umgang mit Gegenständen und konnten keine gesellschaftlichen Gewohnheiten annehmen. Während die Kinder zunächst schüchtern und misstrauisch waren, wandten sie sich mit der Zeit immer mehr an die Erwachsenen. Dieses Verhalten wurde als Zeichen für eine zurückgebliebene Entwicklungsphase gedeutet. Die Kinder hatten mit fast 8 Jahren eine Intelligenzentwicklung eines zwei- bis vierjährigen.
Am 21.12.1967 wurden die Kinder phoniatrisch untersucht. Es ergab sich eine „auffallende Verzögerung der Sprachentwicklung“. Das Zwillingspaar antwortete verzögert mit maximal einem Wort, welches zeitweise in keinem Zusammenhang auf die Frage stand. Bei einem Experiment mit einfachen Tierbildern konnten diese nicht zugeordnet und benannt werden. Die positive Beobachtung zeigte sich durch andauernden Willen zur Mitarbeit und Bemühungen, z.B. Vorgesprochenes zu wiederholen.
Zusammen ergibt sich bezogen auf die Sprachentwicklung Folgendes:
Diagnose: Retardierte und gestörte Sprachentwicklung
Grund: Vernachlässigung der Sprachförderung und -pflege
Maßnahme: Die Zwillinge sollen unter sprechenden Kindern gemischt werden
Tatsächlich erkannte man ein halbes Jahr später deutliche Besserung, die sich unter anderem auch durch das Wachstum von ca. 7cm zeigte.
Weitere Änderungen:
Die Rachitiserkrankung legte sich durch eine Vitamin D-Therapie. Die Psyche erweiterte sich durch Spielen und Lernen in einer sozialen Umgebung. Anpassungsversuche kamen häufiger vor. Klare verbale Äußerung der Ablehnung des alten Heimes und
gesprochene Sätze enthielten nun bis zu drei Wörter_.
Dennoch blieb eine vermutete Schädigung im gesamten Lebenslauf der Zwillinge erhalten, weswegen das Bezirksgericht „eine Meldung über das bewusst aufgeführte Verbrechen der Eltern […], welche ihnen die Verursachung einer schweren, irreparablen Schädigung der psychischen Entwicklung ursprünglich völlig gesunder Kinder zur Last [gelegt ist]“ (J. Siroky et al., 1971).
Zusammenfassung:
Ein Zwillingspaar kam im Jahre 1960 gesund zur Welt, ist sechs Jahre lang isoliert von der sozialen Umgebung aufgewachsen und entwickelt aus diesem Grund das Deprivationssyndrom. Die Folgen fassen sich durch lebenslange psychische und sprachliche Retardierung sowie gesundheitliche Komplikationen im Kindheitsalter zusammen.
Rückblickend erkennt man, dass soziale Isolation, Sprachpflegedefizite und weitere Vernachlässigungen, vor allem Kinder in den ersten Jahren, von ihrer Geburt bis zum Grundschulalter, irreversibel gefährden und diese demnach ihr ganzes Leben lang aus der Gemeinschaft isoliert bleiben.
4.3 Deprivation bei Patienten im Krankenhaus und die optimale Versorgung des Patienten mit dessen Auswirkung
Das Menschenbild in der Pflege geht auf Artikel 1 des Grundgesetzes zurück, der besagt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Somit wird ein würdiger Umgang miteinander erwartet, indem die Anerkennung und Andersartigkeit eines jeden Menschen berücksichtigt werden soll. Diese Würde muss immer beachtet und beschützt werden. Der Philosoph Immanuel Kant sagte: „Alles hat seinen Preis, nur die Würde nicht.“
Kant meint damit die Anerkennung des Menschen, weil er ein Mensch ist, unabhängig von seinen Taten und seinem Leistungsvermögen. Verliert der Mensch durch Krankheit seine Selbstpflege, sind Gesundheits- und Krankenpfleger im Krankenhaus dazu verpflichtet, dieses Selbstpflegedefizit zu kompensieren. In der Präambel des ICN-Ethikkodex heißt es: „Untrennbar von Pflege ist die Achtung der Menschenrechte, einschließlich des Rechtes auf Leben, auf Würde und auf respektvolle Behandlung. Sie wird ohne Unterschied auf das Alter, Behinderung oder Krankheit, das Geschlecht, den Glauben, die Hautfarbe, die Kultur, die Nationalität, die politische Einstellung, die Rasse oder den sozialen Status ausgeübt“ (International Coucil of Nurses: ICN-Ethikkodex für Pflegende. Deutsche Übersetzung des Deutschen Berufsverbandes für Pflegende, 2001).
Die Erfahrung von Anderen gebraucht, geschätzt und akzeptiert zu werden, steigert das Selbstwertgefühl. Dabei darf die Balance zwischen Hinwendung zu einem Anderen und der Bewahrung der persönlichen Autonomie nicht verloren gehen. Aufgabe der Pflege ist es, Sinnfindungsprozesse und Neuorientierung des Patienten zu erkennen und zu unterstützen.
Kommt es im Krankenhaus vor, dass der Patient aufgrund einer Krankheit, Selbstpflegedefizite entwickelt, die psychische Stabilität verliert und keine gute Betreuung vom Pflegeteam bekommt, kann dieser Mensch hospitalisieren. Der Mensch, der einst sein eigenes Leben mit eigenen Prinzipien und seinem eigenen Lebenssystem lebte, der eigenständig Einkäufe und den Haushalt erledigte und seiner Arbeit nachging usw., wird plötzlich krank und kommt ins Krankenhaus. Angenommen, die krankenhäusliche Versorgung wäre mangelhaft und niemand würde sich um diesen Patienten kümmern. Nicht einmal das Nötigste würde bereitgestellt werden. Der Patient würde eine, unabhängig von seinen Wünschen, ausgewählte Nahrung erhalten, um nicht zu hungern. Er würde morgens grob gewaschen werden, damit er nicht anfängt zu riechen/ um hygienisch zu bleiben, er bekäme OP-Kleidung, falls er keine eigene Kleidung mehr hätte und die medizinische Versorgung würde gewährleistet werden.
In diesem Zustand bekäme ein Mensch zwar das Allernötigste zum Überleben, doch bei der Annahme, dass sich niemand mit dem Patienten unterhält und sich um die Person als Mensch kümmert, wird auffallen, dass sich dieser Mensch mit der Zeit in sich kehrt. Der Patient ist nun eine Nummer in einem Krankenhaus, der wegen seiner Krankheit für eine bestimmte Zeit isoliert von der Gesellschaft und einer sozialen Umgebung in einem Zimmer leben muss. Er gibt seine Aufgaben ab und ist nicht mehr in der Lage dazu, selbstständig zu sein, zumindest nicht in allen Lebensbereichen. Während der Patient anfangs noch Hoffnung auf Genesung hat, wird er immer hoffnungsloser werden. Es wird ihm bedeutungslos werden, wie spät es ist, was das aktuelle Datum ist und was hinter den Wänden des Krankenhauses passiert. Dafür hat er mehr Zeit zum Nachdenken, wobei seine Sorgen und Ängste sich vergrößern. Hier wird deutlich, wie wichtig Kommunikation, Anerkennung und Menschlichkeit für die menschliche Psyche sind.
Im Krankenhaus in einem Zimmer zu liegen und abzuwarten, bis man wieder gesund wird, ist mehr oder weniger nicht zu umgehen. Es lässt sich jedoch die Relevanz von Zuwendung und Akzeptanz zeigen, einen Menschen trotz Krankheit als autonomen Menschen wahrzunehmen und sich für ihn einzusetzen bis er seine Autonomie soweit wie möglich zurückerlangt hat. Dabei helfen auch Kleinigkeiten, die zusammen viel auf die Psyche und den Körper des Patienten bewirken, wie zum Beispiel das Erfragen der Wunschkost für die Woche, die Hilfestellung der Physiotherapie und anderen Therapeuten, die Hilfestellung, Beratung und Anleitung, sowie das offene Ohr des Gesundheits- und Krankenpflegers und vieles mehr. Dadurch lassen sich die psychischen und körperlichen Begleitfolgen eines Krankenhausaufenthaltes minimieren. Somit kann einer Deprivation, welches durch den Entzug von Reizen und Zuwendung entsteht, entgegengewirkt werden.
4.4 Exkurs: Deprivation und Hospitalismus in der Tierwelt
Das Deprivationssyndrom ist auch in der Tierwelt zu beobachten. Gemeint ist die Tierwelt in Gefangenschaft, beispielweise Tiere im Zirkus, in Zoos und Käfigen. Die Tiere weisen Verhaltensstörungen auf, die auf Beschäftigungslosigkeit, Platzmangel und Stress zurückzuführen ist. Die Tiere können ihre Intelligenz in Käfigen und in Gefangenschaft nicht nutzen und ihre Bedürfnisse nach ausreichend viel Licht, Luft, Bewegung und sozialen Kontakten nicht befriedigen. Sie leiden psychisch und physisch, was sich durch verschiedene Verhaltensstörungen verdeutlicht (Swaisgoog und Shepherdson, 2005). Sie sind unruhig, laufen im Kreis oder zeigen weitere Käfigsyndrome, wie stetiges Kopfnicken und Jaktation auf.
Elefanten wippen von einem Bein auf das andere und wiederholen immer wieder eine bestimmte Bewegung. Pferde weben, das heißt sie treten stundenlang von einem Vorderbein auf das andere und drehen den Kopf hin und her. Bei Wildkatzen in Gefangenschaft, ist das Laufen im Muster der Acht, beim bestehenden Hospitalismus zu verzeichnen. Beim Betrachten von Eisbären im Zoo lassen sich im Vergleich zu ihrem Verhalten in Freiheit einige Aspekte beobachten. Eisbären brauchen viel größere Freiheitsgebiete. In Freiheit wandern Eisbären täglich ca. 100 km und haben eine Wanderroute von ca. 3500 km. In Deutschland beträgt das durchschnittliche Eisbärgehege in den Zoos ca. 750 m². Somit leben die Eisbären in den Zoos in zu engen Lebensräumen. Während die Eisbärjungen in Freiheit in den ersten zwei bis drei Jahren von der Mutter lernen, wird oft festgestellt, dass die Mutter in Gefangenschaft ihre Kinder verstößt oder tötet. Die überlebenden Jungen zeigen im Erwachsenenalter ein gestörtes Sozial- und Paarungsverhalten auf. Typisch ist, dass hospitalisierte Eisbären stundenlang immer wieder von links nach rechts und umgekehrt laufen (https://www.peta.de/eisbaerstereotypie ,abgerufen am 14.06.2019).
Ende Teil 2